Dackeldiner
Die Bernhardinerhündin Bella besaß eine gewisse Vorliebe für ausgedehnte Spaziergänge, wenn sie nicht gerade – eine weitere ihrer Vorlieben – mit den Kindern der Gäste vom Berghotel Vigiljoch ausgiebig herumtollte und sich streicheln ließ.
So rief eines Tages, als Bellas Wanderlust hormonell bedingt wieder einmal bedeutendere Ausmaße angenommen hatte, der Wirt vom Gasthaus Jocher an. Selbiger hatte zu vermelden, dass sein Dackelrüde und besagte Bella gerade quasi untrennbar miteinander verbunden seien. Wie es der kleine Dackel angestellt haben mochte, seine Avancen gegenüber der Bernhardinerhündin manneskräftig in die Tat umzusetzen, bleibt bis heute ein gut gehütetes Geheimnis der beiden seligen Hunde und des Jocherwirts.
Gleich nach ihrer Rückkehr schwebte das Hotelierspaar mit seiner Bella per Seilbahn nach Lana hinab, um den dortigen Tierarzt ihres Vertrauens aufzusuchen. Dieser beteuerte, dass die amourösen Eskapaden der Hundedame – „also ganz sicher nicht!“, lachte der – keine Folgeschäden nach sich ziehen würden. Neun Wochen später bewiesen fünf gänzlich unterschiedlich aussehende Konsequenzen das Gegenteil.
Neugierig beobachteten Hoteliersfamilie und Gäste die ästhetische Entwicklung der jungen Dackeldiner und staunten über den Einfallsreichtum der Natur angesichts dieses abenteuerlichen Gen-Mixes. Ihres Star-Daseins durchaus bewusst, nahmen die jungen Dackeldiner ihre Rolle als „ganz spezielle Hunde“ auch wirklich ernst: Jeden Morgen, nachdem der Hausmeister die Sonnenterrasse aufgesperrt hatte, belegten die fünf Welpen sofort die vordersten und begehrtesten Liegestühle – erste Reihe fußfrei – und ließen sich von lachenden Tagestouristen fotografieren, aber um nichts auf der Welt von ihrem Lieblingsplatz wegscheuchen.
Vier der fünf Welpen waren gar nicht so hässlich, wie man es sich von einem Dackeldiner erwarten könnte. Sie vereinten in sich eine relativ günstige Kombination aus dem elterlichen Ererbbaren und fanden auch bald einen neuen Besitzer. Nur einer der kleinen Dackeldiner hatte es genetisch miserabel erwischt: Hinter seinem riesigen Bernhardinerkopf streckte sich ein nicht enden wollender Körper, den vier winzige Stummelbeinchen mehr schlecht als recht trugen.
In diesem Sommer war auch der deutsche Politiker Willy Brandt mit seiner Familie im Berghotel Vigiljoch zu Gast. Das Schicksal wollte es so, dass einer seiner Söhne, Matthias, sich in den kleinen unförmigen Dackeldiner verliebte. Scherzhaft fragte dann das Hotelierspaar Vater Willy, ob sie den Hund denn mitnehmen wollten – und das wollten sie tatsächlich!
Der Sohn war glücklich und die „Bunte“ hatte wieder einmal Anlass für Schlagzeilen gefunden: „Willy, wie kannst du nur auf so einen Hund kommen?“
Die Liebe sucht sich eben manchmal die sonderbarsten Wege …